Epsteins Geheimnisse entdeckt 

Andrea Waldbrunner

Versteckte Türmechanismen, einbruchsichere Fenster und Dokumente wurden nun im Palais Epstein am Burgring entdeckt. Auch aus heutiger Sicht ist das Haus aus dem 19. Jahrhundert fortschrittlich. Es wird derzeit als Außenstelle des Parlaments neuerlich modernisiert. 

Wien - Wie konnten Architekt Theophil Hansen und der junge Otto Wagner als Bauleiter ein derart "supermodernes Palais" im 19. Jahrhundert bauen? Die Architekten Alexander van der Donk und Georg Töpfer sind baff. Ebenso Karl Lehner von der Bundesimmobiliengesellschaft (Big). Er wird mit den beiden das Palais bis 2006 parlamentstauglich machen.
Nicht nur, dass das vom jüdischen Bankier und Wohltäter Gustav Ritter von Epstein (1828-1879) in Auftrag gegebene Wohn- und Geschäftspalais ein repräsentatives Beispiel früherer Baukunst am Ring ist. Es sind die architektonische Details, die die drei Herren faszinieren.
"Man würde sich wünschen, dass man solche Schiebetüren auch heute baut", schwärmen die Architekten über die hohen Türen. Sie haben einen Schiebe- und Drehmechanismus, um den Tanzsaal nach allen Richtungen zu öffnen. Je nach Bedarf konnten die Türklinken raffiniert unter kleinen Klappen im Türstock verborgen werden. Interessant sei auch die Heizlüftung, die noch funktioniere. 
Schutz aus Stahl 
Big-Experte Karl Lehner hat eine Sicherheitsanlage im Erdgeschoß entdeckt. In einer Kurtine, dem Mauerteil unter dem Fenster, wurde eine Vorrichtung gefunden, aus der Stahlplatten hochgekurbelt werden konnten, um die Fenster von innen einbruchsicher zu verriegeln. "Epstein muss Angst gehabt haben, dass jemand sein Palais stürmt", vermutet Lehner. Kein Wunder, der Privatbankier war einer der vermögendsten, einflussreichsten Männer seiner Zeit.
Hinter dieser Sicherheitsanlage wurde ein Postsack gefunden, der aus jener Zeit stammen dürfte, als die Russische Zentralkommandatur nach dem Krieg im Palais Quartier bezogen hatte. "Oberst Swedov - Politische Abteilung" hat den an ihn adressierten Brief nie erhalten. Die Briefe werden Historikern zur Analyse übergeben.
Theophil Hansen dürfte sein persönliches Lieblingssymbol im Palais verewigt haben, den Stern. Er findet sich in sämtlichen Mustern von Holzdecken, Mosaiken und Vertäfelungen. Hansen war auch für den Bau des Parlamentsgebäudes nebenan verantwortlich.
All die Spielereien bei der Einrichtung, die sich Familie Epstein geleistet hat, tauchen jetzt bei der Renovierung des Palais auf. Sie sind durch viele Umbauten, von verschiedensten Nutzern veranlasst, abgebaut und entfernt worden. Alte Materialien werden nun an Originalplätze zurückgebracht, ein Teil des Parkettbodens wird rekonstruiert.
Räume fürs Parlament 
Für den parlamentarischen Gebrauch wird das Palais abermals modernisiert. Der hintere Teil, der ehemalige Dienstbotentrakt, wird entkernt, damit die gesamte Gebäudetechnik dort Platz findet. Auch der Dachboden wird künftig genützt. "Keine Sorge", grinst Lehner in Richtung Altstadt- und Welterbeschützer, "er wird nicht ausgebaut", nur vorhandener Raum für Büros genutzt. 14 Millionen Euro werden investiert, damit im Erdgeschoß (den früheren Bankräumen) ein Eingangs-und Ausstellungsbereich errichtet werden kann. Der Tanzsaal wird zum Sitzungsraum, im zweiten und dritten Geschoß entstehen Büros.
Wahrscheinlich wird das Palais für Besucher geöffnet, damit sie noch ein wenig vom Leben und dem Stil des Großbürgertums im 19. Jahrhundert spüren können. Das Palais am Wiener Burgring war mit den Epsteins zentraler Ort der Wiener Zeitgeschichte. In drei Jahren ziehen Parlamentarier dort ein. Österreichische Geschichte wird dann weiter geschrieben. 


Politischer Streit über "Haus der Geschichte" 

Wien - Rund um die Nutzung des Palais gab es heftige Debatten. Leon Zelman, Organisator des Jewish Welcome Service, wollte es als "Haus der Geschichte" gewidmet wissen - obwohl bereits der Umbau zur Parlamentsdependance im Februar 1999 beschlossen worden war. Er gewann dennoch für die Idee zahlreiche Befürworter, in der Sozialdemokratie genauso wie unter christlich-sozialen Politikern.
Zelmans Idee wäre es, mit einem "Haus der Geschichte" oder "Haus der Toleranz" an Menschen zu erinnern, die in der NS-Zeit vertrieben wurden. Bis heute gibt es zwar Konzepte, aber keinen Standort und keine Finanzierung. Mehrmals wurde beispielsweise der Morzinplatz in der Wiener Innenstadt als Alternativstandort diskutiert. Gegenargument: Dort war das Hauptquartier der Gestapo. Wie und wo die Gründung der Republik 1918, der Holocaust, die Besatzungszeit, und - als weitere Idee - das Thema Südtirol aufgearbeitet werden können, ist umstritten. (aw) 


Gustav Epstein: Ehrenmann zahlte fremde Schulden 

Wien - Gustav Ritter von Epstein (1827-1879) hat mit dem Bau des Palais seinen Status als Magnat der Ringstraßenzeit dokumentiert. Er war weit gereist, gebildet und wohltätig. Sein Name steht auch für den Wiener Börsenkrach, bei dem er das Vermögen verlor.
Der in Prag geborene Sohn einer jüdischen Familie führte zuerst Baumwollfabriken in Böhmen, ehe er sich in Wien niederließ. Epstein hatte viele Ehrenfunktionen. Das großbürgerliche Leben endete mit dem Börsenkrach 1873. Mehrere Angestellte hatten sein Geld verspekuliert, er stand für ihre Schulden gerade. Er verkaufte Schmuck und Immobilien, um den Konkurs zu verhindern. Wenig später bezog er mit Frau und drei Kindern eine Mietwohnung.
Das Palais beherbergte das Gaswerk, den Verwaltungsgerichtshof und den Stadtschulrat, später das NS-Bauamt. Nach den Nazis kamen die Sowjets und richteten die Zentralkommandatur ein. 1955 bis 2001 war das Palais wieder Stadtschulratsgebäude. (aw) 

DER STANDARD
DIENSTAG, 11. NOVEMBER 2003, SEITE 9