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PARLAMENTSKORRESPONDENZ/BL/26.11.1999/Nr. 527 

"DIE GESCHICHTE VERSTEHEN, UM DIE GEGENWART ZU BEGREIFEN" 
Machbarkeitsstudie für "Haus der Toleranz" dem Parlament vorgelegt

Wien (PK) - "Die Geschichte verstehen, um die Gegenwart zu begreifen - und das 21. Jahrhundert anders zu gestalten: Das richtet sich an die jeweils jungen Generationen Österreichs, Europas, der Welt." Mit diesen Worten umreißt Anton Pelinka im Vorwort der Machbarkeitsstudie die Zielsetzung für ein "Haus der Toleranz". Die Studie wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Wissenschaft und Verkehr vom Institut für Konfliktforschung in Wien erarbeitet und liegt jetzt dem Nationalrat zur parlamentarischen Erörterung vor. AutorInnen der Studie sind, gemeinsam mit Univ.Prof. Dr. Pelinka, Dr. Sabine Juffinger, die Professoren Dr. Ekkehard Kappler und Dr. Stephan Laske sowie die Ökonomin Claudia Meister-Scheytt. ( III-8 d.B.) 

Der Holocaust bildet - als die "Zäsur in der Zivilisationsgeschichte Europas" im 20. Jahrhundert - den Ausgangspunkt für die Bestimmung eines "Hauses der Toleranz", seiner Aufgaben, seiner Realisierung und Weiterentwicklung. Um der Fülle der Themen und Aufgaben gerecht werden zu können, schlagen die Autoren eine Dreigliederung in die Programmbereiche Ausstellung, Bildung und Forschung vor. Als Leitgedanken des Projekts nennt die Studie Interdisziplinarität, Netzwerkdenken, internationale Ausrichtung, Innovation und die Ausrichtung der genannten Bereiche auf einander. Als "interdisziplinäre Grundlage" sollen soziologische, politikwissenschaftliche, historische, psychologische, erziehungswissenschaftliche, religionswissenschaftliche und ökonomische Erkenntnisse herangezogen werden. 

Der Arbeitstitel "Haus der Toleranz" wird von den Autoren der Studie selbst - ebenso wie die Bezeichnung "Haus der Geschichte" - aus mehreren Gründen als "nicht verwendbar" eingestuft. "Eher möglich" scheinen dem Projektteam Bezeichnungen wie "Haus denk mal", "Denk-mal" und - in Anlehnung an das Buch "Abschied von Sidonie" von Erich Hackl - "Sidonie". Als zusätzliche Einrichtungen werden ein Cafe, ein Museums-Shop, ein BesucherInnenzentrum sowie Seminar- und Vortragsräume für Veranstaltungen genannt. An Konzeptentwicklungskosten - vor allem Personalkosten für eine zu bildende Konzeptentwicklungsgruppe - rechnet die Studie mit jährlich rund 8,2 Mio. S für die Dauer von zwei Jahren. Die jährlichen Betriebskosten werden mit 2,5 Mio. S geschätzt, die Gesamt-Investitionskosten werden mit 1,596 Mio. S angegeben. Betont wird allerdings, dass nach dem derzeitigen Stand der Projektentwicklung eine endgültige Kalkulation noch nicht möglich ist. Zudem soll ein Teil der erforderlichen Mittel durch Sponsoring aufgebracht werden. 

Im Mittelpunkt der Aktivitäten des Hauses der Toleranz hätten "die Darstellung und Analyse der ethnischen, rassischen, geschlechtlichen, moralischen oder sonst motivierten Formen der Diskriminierung" zu stehen, schreiben die Autoren der Studie. Zeitlicher Ausgangspunkt sei die Anfangsphase des 20. Jahrhunderts, Wien der geeignete Standort, zumal sich hier die verschiedensten Tendenzen des Jahrhunderts entscheidend gezeigt und ausgeformt hätten: Der Zionismus wie die Psychoanalyse, der tschechoslowakische wie der jugoslawische Gedanke, der säkularisierte exterminatorische Antisemitismus wie die Spielarten des Faschismus und des Nationalsozialismus, einzelne Variationen des Marxismus wie Konzepte der Christlichen Soziallehre. Der Zeitraum der "Betrachtung, Bearbeitung und Befragung" soll nach Meinung der Autoren überwiegend in der Gegenwart und in der Zukunft liegen. 

Eine der wichtigsten Aufgaben sei es, das Haus zu einem Haus des "öffnenden Fragens" angesichts der Gefahr "voreilig schließender Antworten" zu machen. Als pädagogisch-didaktischer Weg wird ein "biographischer Zugang" gewählt: Eine so vermittelte persönliche Geschichte erlaube auch einen Brückenschlag in die Gegenwart. Im Zusammenhang mit der wichtigen Zielgruppe "junge Menschen" wird auf die neuen Medien - Internet, CD-ROMs - großer Wert gelegt. Thematisch wie organisatorisch schlagen die Autoren eine Gliederung in drei Programmbereiche vor: Ausstellungs-, Bildungs- und Forschungszentrum. 

AUSSTELLUNGSZENTRUM 

Für das Ausstellungszentrum des Hauses der Toleranz wird eine Dreiteilung in "Eröffnungsperformance, permanente Ausstellung und temporäre Ausstellungsfläche" vorgeschlagen. Erstere ist als - durch moderne Medien aufbereitete - Einleitung zu den Themen der Ausstellung gedacht, durch die BesucherInnen aus dem Alltag in die Ausstellung eingeführt werden. Bei der permanenten Ausstellung soll die Darstellung des jeweiligen Themas im Vordergrund stehen, untermauert durch persönliche Geschichten und durch Einzelschicksale. Zentraler Inhalt der Ausstellung ist "der Holocaust mit seinen spezifisch zentraleuropäischen Aspekten". Die Ausstellung solle aber nicht "erneut das Trauma illustrieren", sondern "die Fassungslosigkeit über seine Entwicklung angesichts der aufzeigbaren Normalität jüdischen Lebens im Zentrum Europas". Das Ausstellungszentrum basiert auf drei Säulen: Eigeninitiative, Interaktivität und multimediale Darstellung, d.h. dass die BesucherInnen selbst Schwerpunkte setzen können und müssen und nicht bloß passiv Betrachtende sind. Die Informationen des Ausstellungsbereichs sollen auch via Internet weltweit verfügbar sein. 

BILDUGNSZENTRUM 

Das Bildungszentrum wird in der Studie eng mit dem Ausstellungszentrum verbunden gesehen. Seine Hauptaufgabe liegt "in der Erarbeitung und Durchführung von Vermittlungsprogrammen für AusstellungsbesucherInnen und der Konzipierung von Lern-Programmen für MultiplikatorInnen". Als übergeordnetes Ziel wird der Aufbau eines Netzwerks von Kontakt- und Kooperationspartnern im In- und Ausland gesehen. Mittelfristig soll ein "Zentrum für Medien und Didaktik" entstehen. Langfristig könnte sich das Bildungszentrum mit einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm - öffentliche Vorträge, Seminare, Symposien und Konferenzen, Film-, Musik- und Theateraufführungen, Gedenkveranstaltungen - öffentlichkeitswirksam präsentieren. Dabei soll sich das Bildungszentrum sukzessiv entwickeln und ständig neue - an der Nachfrage orientierte - Programme konzipieren. Eine Zusammenarbeit mit bereits bestehenden Einrichtungen - wie der Anti-Defamation League mit Hauptsitz New York und einem Büro in Wien - soll angestrebt werden. 

FORSCHUNGSZENTRUM 

Das Forschungszentrum im Haus der Toleranz sehen die Autoren vor allem als "Knoten eines Netzwerks, welches inhaltlich, räumlich sowie funktional mit anderen Forschungsinstituten kooperiert". Auch für diesen Bereich wird der Öffentlichkeitswirksamkeit ein hoher Stellenwert zugemessen. 

Die Gesamtleitung des Hauses der Toleranz und damit der Forschungsabteilung soll einer Persönlichkeit übertragen werden, die in der internationalen wissenschaftlichen Welt bekannt ist. Ihr kommt als Aufgabe die Konzeptionierung einer Strategie für das Haus, die Vertretung des Hauses nach außen sowie die Konzeptionierung einer Foschungsstrategie zu. Um eine personelle Überausstattung zu vermeiden, sollen die dauerhaft beschäftigten Wissenschaftler durch Gastwissenschaftler und Stipendiaten ergänzt werden. Als Kooperationspartner, mit denen auch der Austausch von Gastprofessoren möglich sein soll, werden das Institut für die Wissenschaft vom Menschen, das Internationale Forschungszentrum Kulturwissenschaften und das Institut für Höhere Studien genannt, von denen auch schon Absichterklärungen vorliegen. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands könnte "örtlich" eingebunden werden; an einer Vernetzung interessiert wären auch das Österreichische Institut für Internationale Politik und die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. 

ORGANISATION, FINANZIERUNG, OPTIONEN, KOSTEN 

Die Gestaltung des rechtlichen Rahmens für das Haus der Toleranz hält die Projektgruppe für sehr bedeutsam. Unabhängig von der Rechtsform - Verein, Stiftung - solle es aber "zentrale Zielrichtung" sein, "Unabhängigkeit der Institution von Prozessen kurzfristiger Meinungsbildung und tagespolitischen Ereignissen und Schutz vor zu großer Einflussnahme von Interessengruppen zu gewährleisten". Anderseits seien die Träger der Institution durch Mitgliedschaft in einem Fachbeirat einzubinden. Großen Wert legt das Projektteam auf Evaluierung als zentralem Steuerungselement für die Weiterentwicklung der Einrichtung sowie auf Öffentlichkeitsarbeit, zumal die Bekanntheit in der Öffentlichkeit eine wichtige Bedingung für Sponsoring sei. 

Ausgehend von Kostenübersichten zum Jüdischen Museum Berlin, zum Zubau beim Anne Frank-Haus in Amsterdam und zu einer Altbau-Adaptierung, werden für das Haus der Toleranz drei Optionen dargestellt. Bei einem Neubau mit einer Nutzfläche von 8.500 Quadratmetern (Option 1) wird mit Baukosten in Höhe von 705,5 Mio. S gerechnet, bei einem Neubau mit einer Fläche von 3.000 Quadratmetern (Option 2) mit Baukosten von 135 Mio. S. Bei der Adaptierung eines Altbaus mit einer Nutzfläche von 3.500 Quadratmetern (Option 3) wird auf die Schwierigkeit einer Schätzung verwiesen: Die Kosten seien von der vorhandenen Bausubstanz abhängig. Die Personalkosten werden auf 8,244 Mio. S pro Jahr angegeben, die laufenden Betriebskosten mit 2,5 Mio. S, die gesamten Investitionskosten mit 1,596 Mio. S. 

Neben einem Quellenverzeichnis umfasst die Studie eine ausführliche Dokumentation der Studienreisen und Kontakte des Projektteams bzw. einzelner Mitglieder des Teams. Bei einigen Einrichtungen wurden Erhebungen vor Ort durchgeführt (z.B. Anne Frank-Stichting, United States Holocaust Memorial Museum, Museum of Jewish Heritage, Yad Vashem), deren Ergebnisse in einem eigenen Abschnitt der Studie präsentiert werden. Resümierend stellen die AutorInnen der Studie fest: "Das Projektteam geht von der Wünschbarkeit und von der Machbarkeit eines Hauses der Toleranz aus." (Schluss) 

http://www.parlinkom.gv.at/pd/pk/1999/PK0527.html                             STARTSEITE
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